Was bleibt

Fotografien sind in Tranchen zerlegte Zeit. Eine Scheibe Zeit, ein subjektiver Ausschnitt von etwas, das war und doch schon nicht mehr ist. Wo das Bewegtbild vage bleibt, dem Augenblick gegenüber unentschlossen, sich nicht festlegen kann und will, ist die Fotografie zur entschlossenen Reduktion auf den Moment gezwungen.

Schätzungen zufolge werden weltweit etwa 1,4 Milliarden Fotos pro Tag aufgenommen. Vieles davon dürfte profan sein: Alltagsschnappschüsse, nur kurz betrachtet, vielleicht noch schnell geteilt und dann doch vergessen – früher in Schubladen oder vergilbten Alben, heute auf Festplatten oder vergessenen Speicherkarten. Nur wenigen ist es vergönnt, schon im Moment ihrer Entstehung etwas Besonderes zu sein und jene Dualität abzubilden, die eine besondere Fotografie ausmacht.

Das ist bei Ereignissen der Zeitgeschichte nicht anders als in der Kunst- oder Freizeitfotografie: Das Außergewöhnliche manifestiert sich schon im Sucher oder auf dem Display, unabhängig davon, ob es bei einem familiären Anlass oder bei Geschehnissen der Zeitgeschichte entstanden ist. Der Sprung über den Stacheldraht in Berlin, das verbrannte Kind in Vietnam oder Trump in Butler – diese Fotografien drängen sich in das kollektive Bildgedächtnis, weil sie mehr beinhalten als nur das Dokumentarische; sie verbinden Bildinformation mit ästhetischen wie auch emotionalen Inhalten.

Allen anderen Fotografien jedoch bleibt die Zeit. Was heute wie ein alltägliches Bild erscheint, verwandelt sich mit den Jahren in ein bedeutungsvolles Zeitdokument. Eine unscheinbare Modefotografie, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung eine schlichte Verkaufshilfe ist, wird in der Zukunft Zeugnis des vergangenen Zeitgeistes ablegen. Ein Parkplatz, gefüllt mit zeitgenössischen PKWs, wird zunächst nur wenig mehr als eine belanglose Alltagsaufnahme sein. Doch eben diese Fotografie kann, Jahrzehnte später betrachtet, ein Feuerwerk sentimentaler Emotionen auslösen.

Wir erinnern uns mithilfe von Fotografien, sie werden zu Fixpunkten wie auch zu Krücken einer schwindenden Erinnerung. Wir betrachten Fotografien vergangener Feiern und bemerken jene, die schon fehlen; ebenso sehen wir Bilder aus der Vergangenheit und wissen, dass all jene Unbekannten, die uns durch die Zeit anschauen, schon lange gegangen sind.

Was am Ende bleibt, sind die Tranchen der Zeit, die wir genommen haben oder von uns genommen wurden. Tranchen, die noch einige Zeit mit einem sentimentalem Seufzen betrachtet werden, nur um dann in die Anonymität zurückzufallen.

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Fotografie zwischen Simulation und Realität